Bevor wir uns über Hornführer unterhalten, sollten wir erst mal einen Blick auf die Hörner der Rinder werfen! Zumindest so lange sie noch welche haben...
Diese Auswüchse bestehen aus Knochen und einem Überzug aus Horn / Keratin, ähnlich dem Klauenhorn oder unseren Fingernägeln. Beim neugeborenen Kalb als noch verschiebliche Hornknospen aus Bindegewebe unter der Haut angelegt entwickeln sie sich im Lauf der ersten Monate zu jetzt fest mit den Schädelknochen verwachsenen Hornzapfen. Außen darüber sitzt der Hornschuh, auch Hornscheide genannt, feine, fest miteinander verbundene Keratin-Röhrchen. Sie wachsen im Laufe des Rinderlebens ausgehend von der Hornbasis laufend nach, anfangs ca. 10cm pro Jahr, später nur noch 3cm pro Jahr. Dieses laufende Wachstum speichert, wie Baumringe, alle Vorkommnisse während dieser Zeit: schlechtes oder zu gutes Futter, Geburten, Verletzungen, Krankheiten etc. Gut sichtbar läßt sich vieles an der Hornqualität und -entwicklung ablesen. So wird die Altersbestimmung bei Kühen durch die Geburtsringe vereinfacht (Anzahl der Ringe plus 2 ergibt das ungefähre Alter).
Die Form der Hörner ist rassetypisch und während beim männlichen Rind die Richtung ehr nach außen, also seitwärts, geht haben weibliche Tiere nach seitlich-vorn geschwungene, Lyra förmige Hörner.
Während des Hornwachstums können diese Körperteile geformt werden. Sowohl die knöcherne Grundlage als auch der Hornschuh reagieren auf fortwährende Reize von außen, sei es durch die unten beschriebenen Hornführer oder durch Gewichte, die an den Spitzen angebracht werden können. Weil das Keratin nichts anderes ist als unsere Haare lassen sich Hörner auch später - wie bei einer Dauerwelle - verformen, zumindest an den Spitzen, wo es keine Knochengrundlage mehr hat. Dazu muß der Hornschuh erhitzt werden, dann läßt er sich biegen. Außerdem ermöglicht das Hornwachstum die Wachstumsrichtung eines Horns durch Anfeilen, also quasi einer künstlich herbeigeführten Verletzung des Hornschuhs, zu beeinflussen.
Die Hornsubstanz ist also bis zu einem gewissen Grad elastisch, kann wie Holz bearbeitet werden. Schläge auf das Horn werden mit Blutergüssen unter dem Hornschuh quittiert, auch das ist wie bei unseren Nägeln und zeugt von einer ziemlichen Empfindlichkeit. Sehr große Schmerzen bereitet wenn nicht nur der Hornschuh verletzt sondern auch die knöcherne Unterlage betroffen ist. Letztere ist selbstverständlich nicht elastisch und bricht bei starken Verletzungen. Solche Verletzungen können - wie jede Fraktur - geschient werden und wieder verheilen wenn das Horn erhalten werden soll.
Ab dem ersten Lebensjahr wachsen die Stirnhöhlen in den knöchernen Hornzapfen ein, das reduziert das Gewicht dieser Körperanlagen deutlich. Kommt es zu Frakturen des Horns wird dann in aller Regel die entsprechende Stirnhöhle eröffnet und muß versorgt werden um eine tiefergreifende Infektion zu verhindern.
Hörner haben für ein Rind vielerlei Funktionen, deutlich mehr als "nur" bei Rangkämpfen, der Feindabwehr und als Imponiersymbol behilflich zu sein. Hörner sind wichtige Anzeiger im Zusammenhang mit der Körpersprache, der stummen und doch so lebhaften Kommunikationsform zwischen den Tieren selbst und anderen Lebewesen zB. uns Menschen. Dabei wirken sie wie Verstärker von kleinen Gesten, es spart energetisches Potential ein, wenn schon sparsame Bewegungen verdeutlichen was ein Tier möchte. Auch oder gerade deshalb sind behornte Tiere in einer Herde im allgemeinen unbehornten Rindern überlegen. Wissenschaftlich nachgewiesen ist die Tatsache, daß hornlose Tiere häufiger Blutergüsse und Verletzungen unter der Haut davontragen als behornte, selbst in einer reinen hornlosen Herde. Hörner sind Handersatz und werden immer dann benutzt, wenn sich ein Problem nicht mit der Zunge oder anderweitig beheben läßt: Fliegenabwehr, Juckreizbekämpfung, Futter durch das Fressgitter heran holen, elektrischen Zaun anheben, ... die Liste kann um viele Positionen verlängert werden.
In meinen Augen ist ein hornloses Rind ein behindertes Rind!
Die Hörner der Rinder haben auch für uns Funktionen. Vom toten Rind werden sie z.B. als Dünger eingesetzt. Gebrauchsgegenstände wie Trink- und Pulverhörner wurden und werden daraus gemacht. In verschiedenen Naturreligionen haben Hörner eine magische Bedeutung. Man kann ein lebendes Rind an seinen Hörnern fixieren, zum Beispiel im Klauenstand oder immer wenn man einen Rinderkopf ohne viel Beweglichkeit braucht. Wir nutzen die Hörner bei allen Stirn- und Genickjoch-Anspannungen. Das ursprüngliche portugiesische Joch mit seinen herrlichen Schnitzereien setzt Hörner bei seiner Nutzung voraus. Dafür braucht ein Rind möglichst gleichmäßige und vor allem unverletzte Hörner...
Hornführer
Stirn- und Genickjochs setzen Hörner zum Befestigen der Jochs voraus. Diese Hörner sollten einer Idealform entsprechen, je nach verwendetem Joch. Da es durch Verletzungen im Jugendalter während die Hörner noch wachsen oder auch vererblich bedingt zu einer Verlagerung der Wachstumsrichtung kommen kann, wurden sog. Hornführer eingesetzt. Diese geben den wachsenden Hörnern eine bestimmte Richtung vor und mußten in ihrer Größe jeweils angepasst werden. Sie wurden aus Holz oder Metall hergestellt und am Kopf mit Lederriemen befestigt. Diese hier sind im Landwirtschaftsmuseum Hilchenbach-Hadem zu bestaunen.