Heinrich

sieht man mich?

Heut ist Vatertag; sogar der Hahn mit seinen beiden Hennen geht in den Biergarten nebenan, also  kann ich die Zeit zum Erzählen nutzen. Die Sonne scheint, heizt mein kohlrabenschwarzes Fell auf und ich lieg versteckt und träum in meinem Lieblings-Grasbüschel. Ich heiße Heinrich und bin der Sohn von der Hedda. Mein Vater ist der weltberühmte Kinuyasudoi Y350 aber den hab ich noch nie zu Gesicht bekommen und Alimente zahlt er auch keine. Ich bin am 14.5.2022 auf die Welt gekommen, vor 12 Tagen also. Das war genaue Planung, obwohl ich bei meinen Kickbox-Übungen 14 Tage vorher schon mal kräftig Bauchweh bei meiner Mama verursacht habe und die Zweibeiner ganz aufgeregt reagiert haben. Unsere Chefkuh war grad in der Toskana, also hat sich die Frieda - ihre Vertretung - um meine Geburt kümmern müssen. War aber kein Problem, meine Ma kann das. Was sie leider nicht kann ist einfach stehen bleiben, damit ich in Ruhe an meine Milch komme. Das hat nur beim ersten Mal geklappt, war wohl der Überraschungseffekt. Als ich dann einen kräftigen Tritt von ihr abbekommen habe, wußte die Frieda, ich brauch Hilfe. Ganz dick ist mein Bein angeschwollen und ich hab eine Woche lang kräftig gehinkt. Jetzt wird es besser und ich merk fast gar nichts mehr davon. Auch mit dem Saufen wird es besser. Ich brauche immer noch jemanden der sich neben die Hedda stellt, aber meine Anrüst-Taktik hat sich verbessert. Ich stoße nicht nur von der Seite mit dem Kopf gegen das Euter in der Hoffnung, daß genug Oxytocin (das Glücks- und Kuschelhormon) die Milch zum Fließen bringt, sondern ich probiere es sporadisch von hinten, gaaanz laaangsam und gaaanz vorsichtig. Am besten klappt es wenn ich an der Euterhaut nuckel und mich dann langsam nach unten vorarbeite bis plötzlich und selbstverständlich völlig ungeplant und rein zufällig eine Zitze in mein Maul fällt. Unsere inzwischen zurückgekehrte Chefkuh schüttelt bloß den Kopf über meinen Einfallsreichtum und meint, ein Spätentwickler bleib ich trotzdem.

So gesehen hat sie vermutlich Recht; den engen Kontakt zu meiner Ma wie andere Kälber, den hab ich nicht. Ich fress nicht unter dem Hals von meiner Mutter, schau ehr was die anderen so treiben. Wenn sie draußen auf der Wiese alle den Kopf nach unten stecken dann schnuffel ich auch mit meiner Nase im Gras, in der Hoffnung zuerst zu finden was alle doch so offensichtlich suchen. Ganz breit muß ich meine Vorderbeine dafür hinstellen, sonst reicht mein Kopf nicht bis auf den Boden. Egal wie sehr ich suche, ich hab noch nix wichtiges entdeckt - ob es um das Grünzeug geht??

Letzten Samstag wurde ich furchtbar müde, hab den halben Nachmittag verpennt. Wie ich wieder aufgewacht bin hatte ich quietschgelbe Ohrmarken in meinen Löffeln, alles Kopfschütteln hat nicht geholfen, die sind auf Dauer. Sogar meine Ma hat sie inspiziert und darauf herumgekaut, rausbekommen hat sie sie trotzdem nicht. Die Chefkuh hat irgendwas von "kastriert mit einem Fadenmesser" gemurmelt, es seien keine Skalpellklingen im Auto gewesen. Ob sie mich damit meint?

mit 4 Wochen mach ich meine ersten Ausflüge - das geht auch ohne meine Ma

Heureka! Endlich weiß ich es: stellt Euch vor das Gras kann man fressen! Gestern hab ich es ausprobiert nachdem mir die Helen nochmal ins Ohr geflüstert hat. Die Spitzen, also die Ähren oben, sind die besten Teile. Ganz ohne bücken geht das, stehen direkt vor meiner Nase ...

Ach ja, einen Zaun gibt es auch; der kümmert mich aber nicht. Immer wieder schlüpf ich durch und muß gesucht werden, weil ich im hohen Gras fast unsichtbar bin. Oft verschlaf ich so wenn alle heimgehen, da muß mich die Chefkuh persönlich in den Stall bitten. Gnädigerweise steh ich für sie auf, dehne mich und stakse dann hinter ihr her nach Hause. Zu meiner Ehrenrettung muß man aber auch erwähnen, daß ich jetzt mit 4 Wochen schon viel aktiver am Leben teilnehme. Weil halt der Zaun allerweil im Weg steht, spring ich einfach durch.

Meine Ma, die Hedda, und ich im zarten Alter von 4 Monaten

Immerhin kann mir meine Ma die Basics des Zugrinder-Arbeitens beibringen. Hier nimmt sie mich mit auf eine Runde rum ums Karree. Mein Halfter sitzt ganz schief, weil ich manchmal woanders hin will wie die Hedda; hab aber noch nicht genug Überzeugungsmasse, also gehen wir meist dahin wo die Chefkuh meine Ma führt. Immer gibt's dabei Neues zu entdecken!

im Mai 2023 mit der Helen, dem Bill und schräg vor mir dem Ulli auf der Weide

Mittlerweile bin ich zu groß um mich in den Grasbüscheln draußen auf der Weide zu verstecken. Ich bin jetzt ein Jahr alt und schon ganz schön gewachsen. Naja, der Bill und der Ulli sind mir weit voraus, aber ich werde ja  noch zulegen. So im tiefen Gras finden wir das am besten, noch dazu wenn die Sonne scheint. Ein herrliches Leben!